Viele sehnen sich danach, mehr zu haben. Wenn wir Menschen etwas erhalten, macht es uns kurzzeitig zufrieden. Ein Gefühl des Glücklichseins stellt sich durch Konsum aber nur in beschränktem Maße ein. Deshalb verlangt es uns, immer mehr zu haben, mehr Geld, immer größere und teurere Dinge. Wenn wir innehalten, merken wir, dass wir dadurch nicht glücklich geworden sind, sondern einfach nur mehr Dinge besitzen. Anscheinend ist materieller Wohlstand und Besitz nicht geeignet, uns wirklich und dauerhaft glücklich zu machen. Reichtum beruhigt noch nicht einmal, denn je mehr man davon besitzt, umso mehr Angst vor Verlust stellt sich ein. Außerdem verschlingt die Pflege des Besitzes einen großen Teil der Zeit, die man für Dinge aufwenden könnte, die wirklich glücklich machen.

 

Es gibt einen sehr einfachen Weg, um dauerhaftes Glücklichsein und Zufriedenheit zu erhalten, was man mit dem Wort „Fülle“ gut beschreiben kann. Es ist ein Weg, den jeder Mensch gehen kann. Den Weg beschreibt folgende Geschichte: Letztens erzählte Neale Donald Walsch von einem Mann, der Teilnehmer eines Seminars von ihm war. Bei der Vorstellungsrunde sagte der Mann, er sei ziemlich mittellos, ja sogar arm. Er hatte sich dieses Seminar gerade so vom Munde absparen können. Sein ganzes Leben schon sah er, dass die meisten anderen Menschen seines Umfeldes in einer Fülle von Gutem lebten. Aber wie er sich auch anstrengte, er blieb immer ein armer Mensch. Der Neale sagte, dass man selbst geben müsste, um die Fülle zu erlangen. Doch der Mann antwortete, dass er nichts hätte, was er geben könnte. Neale fragte weiter, ob er nicht doch Gutes besitzen würde, das er anderen geben könnte, aber dem Mann fiel nichts ein. „Haben Sie nicht ein wenig Liebe in sich?“ „Ja“, antwortete der Mann. „Ein wenig Liebe habe ich wohl in mir.“ Neale fragte weiter: „Können Sie mit anderen Menschen mitfühlen?“ „Ja, ich habe schon das eine oder andere mal gehört, dass ich wohl ein mitfühlender Mensch sei.“ „Und was haben Sie noch Gutes in sich?“ „Nun, ich habe Humor“, antwortete der Mann. „Ich liebe es, Witze zu erzählen und Menschen zum Lachen zu bringen.“ „Dann“, sagte Neale, „haben Sie doch wunderbare Dinge, die Sie anderen Menschen geben können. Es soll Ihre Herausforderung sein, in der Mittagspause von dem, was Sie besitzen, anderen abzugeben. Schauen Sie, wen Sie treffen und geben Sie reichlich von dem Guten, dass in Ihnen ist: Liebe, Mitgefühl und Humor.“ Der Mann war einverstanden. In der Mittagspause ging der Mann in die Kantine der Bildungsstätte. Dort waren viele unbekannte Menschen, die Teilnehmer anderer Seminare waren. Er ging freimütig zu ihnen und erzählte seine Witze. Viele lachten. Selbst die Menschen, deren Humor er nicht traf, lachten, weil dieser seltsame, Witze erzählende Mann einfach eine gute Laune verbreitete. Dann sah dieser jemanden, der anscheinend traurig war. Über den Witz des Mannes verzog er keine Miene. Der Mann setzte sich zu dem Fremden, stellte sich vor und sagte, dass er sehr traurig aussähe. Er kam mit dem Fremden ins Gespräch und nahm Anteil an seinen Leiden. Er erfuhr, was den Fremden bedrückte. Durch die Anteilnahme des Mannes hellte sich die Stimmung des Fremden auf und er sah einen Silberstreif am Horizont, einen Schimmer Hoffnung, das, was ihn bedrückte, hinter sich zu lassen.

Während der Mittagspause hatten die anderen Seminarteilnehmer eine Idee. Sie nahmen eine Schale und sammelten darin Geld von den Teilnehmern. Der Mann kam überglücklich von der Mittagspause. Er war so angefüllt von Glück, von Liebe und Verbundenheit, dass er strahlte. So glücklich hatte er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. Er fühlte sich verbunden mit allen anderen Menschen. Als das Seminar wieder begann, überreichten ihm die anderen Teilnehmer die Schale mit dem gesammelten Geld. Überwältigt von dieser Geste voller Liebe und Mitgefühl weinte der Mann Tränen der Freude. Er hatte wahrhaft erlebt, dass derjenige, der gibt, was er Gutes in sich hat, selbst die wahre Fülle erlebt. Ich hörte auch von einem Obdachlosen, der von dem Wenigen, das er besaß, anderen gab, die noch weniger hatten. Wenn er ein paar Euro erbettelt hatte, gab er mehr als die Hälfte einem anderen, der gar nichts hatte. Der Mann wurde in der Szene bekannt. Jeder kannte ihn, und jeder sprach voller Wohlwollen und Dankbarkeit von ihm. Der Mann selbst war glücklich. Ihm fehlte nichts. Er besaß „die Fülle“, obwohl er nichts besaß. Diese Wahrheit über die Fülle des Lebens, die uns mit allem und jedem verbindet, ist ein Kern christlicher Lehre:

„Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben.“ – Lukas 6,38

Jeder Mensch hat Gutes in sich. Oft ist die eigene Seele, das innere Selbst, von Vielem, was uns sonst ausmacht, verdeckt: von Lebensrollen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen, von unserem Verstand. Die Erkenntnis der eigenen Seele, des Guten, das in jedem von uns ist, öffnet einen Weg in die Nähe Gottes. Wenn wir von dem guten, das uns ausmacht, anderen geben, dann gehen wir diesen Weg und gelangen wahrhaftig in die Nähe Gottes. Dann ist Gottes Wesen in uns erwacht. Dann sind wir ins Reich Gottes gelangt. Und dann kommen andere Dinge, die uns gut tun, wie von selbst, zum Beispiel Gesundheit, Geld oder Erfolg. Diese Dinge waren uns dann nicht mehr so wichtig. Wir hatten nicht das Gefühl, sie unbedingt haben oder gar brauchen zu müssen. Wenn wir ständig nur unseren Mangel im Blick haben und uns des Mangels an Gutem bewusst sind, dann werden wir genau das erleben: Wir leiden Mangel und wünschen und das Gute. Wir selbst haben großen Einfluss darauf, was wir erleben. Auch diese Gesetzmäßigkeiten hat Jesus beschrieben:

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ – Matthäus 6,33

Den Weg in Gottes Nähe, den Weg zum dauerhaften Glücklichsein, kann man also mit diesen zwei Schritten zusammenfassen:

  1. Erkenne dich selbst. Auf welche Weise bist du in der Lage, den Menschen in deinem Umfeld, etwas Gutes aus deinem tiefsten Inneren zu geben?

     

  2. Gib das, was du hast. Lass das Gute, das in dir ist wie in jedem Menschen, aus dir heraus fließen und die Welt verändern. Wenn du dein inneres Selbstbild gefunden hast, also das, was du anderen Gutes geben kannst, dann kann dir dieses Selbstbild als Maßstab dienen für alle Rollen, die du in deinem Leben ausfüllst sowie für alle Lebenssituationen. Wenn du krank bist an Körper, Geist oder Seele, kannst du prüfen, ob du vielleicht dein Selbstbild nicht leben konntest in der letzten Zeit. Und wenn du Entscheidungen treffen möchtest, kannst du dich fragen, ob die Entscheidung dir hilft, dein Selbstbild zu leben oder nicht. So beginnst du, dein Leben so zu gestalten und zu verändern, dass du glücklich bist. Und du wirst erleben, dass Du in jeder Hinsicht die Fülle erhältst.

Gustedt, im Mai 2020