In allem, was geschieht, liegt auch immer etwas Gutes. Dieses Wissen zeigt sich in Redensarten wie: „Glück im Unglück haben“ oder „Wer weiß schon, wozu das gut sein wird.“ Im Englischen heißt es: „A blessing in disguise“ („ein Segen in Verkleidung“). Hamlet stellt im Gespräch mit Rosencranz fest: „…, for there is nothing either good or bad, but thinking makes it so.” („…, denn an sich ist nichts weder gut noch schlecht, das Denken macht es erst dazu.”) 

Das Schauen auf den guten Sinn lässt mich in jedem Rückschlag eine Chance auf etwas Besseres sehen, in jeder Sackgasse eine Möglichkeit, neue Wege zu finden. Jede Krise ist eine Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln. Jede Krankheit ist eine Aufforderung meines Körpers zu schauen, was ich in meinem Leben ändern muss, um meinem positiven Selbstbild zu entsprechen.

Seit meiner Krebserkrankung habe ich das sehr oft erlebt. Eigentlich kann ich sogar sagen: Ich erlebe das ständig, im Kleinen wie im Großen. Mittlerweile habe ich sogar einige Übung darin, in jeder unangenehmen Kleinigkeit, in jeder Krankheit, in jedem Misserfolg etwas Gutes zu sehen, das es mir ermöglicht, noch mehr zu dem zu werden, der ich in Wahrheit bin. Meine Krebserkrankung selbst ist das beste Beispiel dafür: Ich war fast tot, war vier Jahre arbeitsunfähig und musste von Sozialhilfe leben. Aber ich bin nun so viel glücklicher als früher. Ich bin mir viel mehr meines Selbst bewusst geworden und habe meine Bestimmung gefunden. Ich bin der geworden, der ich eigentlich bin. Wie könnte ich also sagen, dass die Krankheit etwas Schlechtes war?

Meine Haltung, in allem das Gute zu sehen, führt bei mir zu einer äußerst starken Widerstandsfähigkeit (Resilienz). Alles, was mir geschieht und was ich nicht ändern kann, vermag ich zu ertragen. Das Vertrauen in dieses Gute ist groß. Selbst wenn ich nicht sofort das Gute erkenne, weiß ich, dass es da ist und nur darauf wartet, von mir gefunden zu werden. Ängste sind mir inzwischen sehr fremd geworden. Eigentlich sind Ängste etwas Gutes, denn sie treiben uns zu sinnvollem Handeln. Solche Ängste im Sinne von Furcht meine ich hier nicht, sondern Ängste, die ein Gefühl der Ohnmacht und des Zweifels mit sich bringen, ob alles wirklich gut wird, ob ich den Anforderungen gewachsen und ob ich gut genug bin. Solche Ängste entstehen nicht durch eine konkrete Gefahr, sondern durch unsere Vorstellungskraft. Wir malen uns aus, was alles geschehen könnte, besonders wenn wir auf eigene oder fremde Erfahrungen zurückgreifen.

In vielen Texten und in meinen Coaching- und Seelsorgegesprächen spreche ich davon, dass in allem immer auch etwas Gutes verborgen ist und dass es uns glücklich macht, wenn wir dieses Gute suchen und erkennen. Aber mir ist sehr bewusst, dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, das Gute in Allem zu sehen. Zu oft hat man die Dinge schon als schlecht bewertet. Dieser Text soll dabei Hilfestellung geben. Was kann man tun und welche Einstellung ist geeignet, um auf diese Weise eine wirksame Widerstandsfähigkeit zu erlangen? Anhand von Beispielen aus eigenem Erleben und dem von Menschen, die ich in meinen Coachings begleiten durfte, möchte ich Menschen Zugang zu dieser Haltung ermöglichen. Das geschieht in der zweiten Texthälfte. Zunächst gehe ich aber auf die Erkenntnisse und Einstellungen ein, die hilfreich sind, um zu diesem vollkommenen Vertrauen in das Gute zu gelangen.

Gelassenheit – das Nichtbewerten von dem, was geschieht
Ohne Dinge beurteilen zu können, kommen wir nicht durchs Leben. Wir müssen ständig bewerten, um Entscheidungen treffen zu können. Diese Selbstverständlichkeit stelle ich in keiner Weise infrage. Hinter meiner Haltung steht kein weltfremder Spinner, der keine Ahnung hat, wie schlimm viele Dinge sein können. Der Unterschied ist der, dass ich Dinge nicht vorschnell bewerte und nicht aus einem schlechten Gefühl heraus und auch nicht aus einer automatischen Reaktion meines Unterbewusstseins.

Wenn uns etwas Unangenehmes widerfährt, dann bewerten wir dies aus Gewohnheit schlecht. 95% unserer täglichen Gedanken haben wir früher schon so oder ähnlich gedacht. Wir haben vielleicht mal schlechte Erfahrungen gemacht und sobald wir in eine ähnliche Situation geraten, kommen dieselben Emotionen hoch. So hatten wir es vielleicht irgendwann einmal eilig, wurden aber von anderen Menschen aufgehalten. Das hat uns nicht gefallen. Es entstand ein negatives Gefühl. Wenn wir erneut erleben, dass wir unseren Zeitplan nicht einhalten können, dann erinnert sich unser Unterbewusstsein an früher und ruft dieselbe Emotion hervor. Dies geschieht automatisch, selbst wenn wir es gar nicht eilig haben. So sind die meisten Menschen Sklaven ihrer Gewohnheiten.

Daraus entstehen negative Emotionen, die wir als unangenehm bewerten. Dieses Unangenehme möchten wir schnellstens hinter uns lassen. Das, was geschieht, bewerte ich aber bewusst nicht, denn ich gehe davon aus, dass etwas Gutes dahinter verborgen ist. Ich kämpfe innerlich nicht dagegen an. Die so eingesparten Kräfte stehen mir für das gute Handeln zur Verfügung. In mir entsteht ein tiefer Frieden, der aus dem bewussten Erleben des Augenblicks hervorgeht. Entscheidungen, die ich aus diesem Frieden heraus treffe, sind gute und starke Entscheidungen. Sollte ich Schwierigkeiten haben, das, was geschieht, nicht zu bewerten, erlaube ich dem Schlechten, zu sein. Ich trenne das schlechte Gefühl von mir und kann es betrachten. Es beherrscht mich nicht. Wenn es aber gut ist, Dinge zu ändern, dann ändere ich sie; ich muss nicht alles hinnehmen. Durch den Zwischenschritt des Nichtbewertens ist dies dann aber keine spontane emotionale Antwort, sondern entsteht aus dem Erkennen des Guten und aus einem Urvertrauen. Mein ganzes Handeln hat dadurch eine große Kraft, denn es kommt aus reinem Bewusstsein. Wahres Glücklichsein ist nur möglich mit einem erwachten Bewusstsein, das sich nicht von Gewohnheiten und Glaubenssätzen beherrschen lässt.

Die Notwendigkeit des Schlechten für das Gute
Das Schlechte, das wir erleben, ist unerlässlich, damit wir Gutes erkennen können. Erst durch sein Gegenteil vermögen wir, etwas Gutes wertzuschätzen. Ohne Schwarz gäbe es kein Weiß. Viele Menschen lieben blauen Himmel und Sonnenschein. Lebten wir aber ausschließlich in einer Region, in der es immer Sonne und blauen Himmel gibt, würden wir das “schöne Wetter” gar nicht so gut empfinden. Nur, weil wir auch solche unterschiedlichen Wettererfahrungen machen, bewerten wir sonniges Wetter als schön. Nur weil wir Schmerzen und Krankheiten erfahren, wissen wir Gesundheit zu schätzen. Ein Mensch, der nie krank ist, kann Gesundheit zwar vom Verstand her wertschätzen, ihm fehlt jedoch die Erfahrung, so dass positive Gefühle wie Dankbarkeit und Freude kaum entstehen. Nur wenn wir Misserfolge haben, wissen wir Erfolge zu schätzen. Nur wenn wir Sackgassen erleben, finden wir neue Wege. Nur wenn wir Mangel erleben, können wir Fülle erfahren. Das Schlechte in der Welt und in unserem Leben muss es also geben, damit wir das Gute erkennen und uns entwickeln können. Die beste Methode, um schlechtem Erleben zu begegnen ist, daraus zu lernen.

Das Verhältnis von Geist und Materie
Viele Menschen glauben, dass der menschliche Geist nur ein Ergebnis von Materie ist. Unser Gehirn erschafft nach diesem Denken unser Ich. Eine Seele gibt es nicht, denn man kann sie im Gehirn nirgendwo verorten. Solche materialistischen Gedanken widersprechen vollkommen meiner Überzeugung. Der Erkenntnis des guten Sinnes in allen Dingen liegt eine weitere Erkenntnis zugrunde: Geist schafft Wirklichkeit. Die Seele ist ewig und existiert auch ohne den menschlichen Körper. Das ist Inhalt aller Religionen. Die Seele ist zuerst da. Damit sie als Mensch in dieser Welt existieren kann, müssen Gehirn und Körper so funktionieren wie es vorgesehen ist.

Die Herrschaft unseres Geistes über den Körper können wir in der Praxis unseres Lebens ständig erfahren. Wir wissen beispielsweise um die Wirkung von Placebos. Medikamente haben eine Wirkung, selbst wenn sie keine Wirkstoffe enthalten. Es reicht oft aus, dass wir glauben, dass ein Wirkstoff enthalten ist. Weltweit gibt es zig medizinische Studien sogar über placebo-chirurgische Eingriffe, bei denen sich herausstellte, dass der Heilungseffekt bei den Placebo-Patienten identisch war wie bei den Verum-Patienten, die tatsächlich operiert wurden. Dass Placebos wirken, ist eine wissenschaftliche Erkenntnis. Aber warum wirken sie? Zuerst ist der Gedanke da. Der Gedanke erschafft dann die Wirklichkeit. Nach materialistischen Prinzip dürften Placebos nicht wirken. Die Wissenschaft hat dafür keine Erklärung, außer dass es vor allem “psychosoziale” Gründe sein müssen. Aber die Existenz genau dieser “psychosozialen” Zusammenhänge kann man nutzen! Jesus hat viele Menschen geheilt. Danach sagte er zu den Geheilten: Dein Glaube hat dir geholfen. Ob es mein Glaube ist, der hilft, oder die Kraft meines Geistes oder ob ich es als Magie oder Wunder bezeichne, spielt letztlich keine Rolle. Es funktioniert. Also nutze ich es!

“Da antwortete Jesus: »Ihr müsst Gott ganz vertrauen! Ich versichere euch: Wenn ihr glaubt und nicht im Geringsten daran zweifelt, dass es wirklich geschieht, könnt ihr zu diesem Berg sagen: ›Hebe dich von der Stelle und stürze dich ins Meer!‹, und es wird geschehen.«” – Markus 11,22.23 HFA

Exkurs: Quantenphysik
In der Physik, genauer in der Quantenphysik, können wir ein Phänomen beobachten, das ebenfalls die Herrschaft des Geistes über die Materie zeigt. Allein durch das Beobachten von Materie verändern wir diese. Besteht Licht aus elektromagnetischen Wellen oder aus Teilchen (Photonen)? Licht ist beides! Das lässt sich durch verhältnismäßig einfache Experimente aus dem Schulalltag beweisen. Licht hat mal die Eigenschaften von Wellen und mal die von Teilchen, je nachdem, ob wir das Licht messen, also beobachten. Im so genannten Doppelspaltexperiment schickt man Licht durch einen doppelten Spalt. Auf dem dahinter befindlichen Schirm müsste man zwei helle Streifen sehen. Stattdessen sieht man ein typisches Muster, das entsteht, wenn sich zwei Wellen überlagern (Interferenz). Das Licht hat hier also die Eigenschaft von Wellen. Wenn wir allerdings ein Messgerät am Doppelspalt installieren, das misst, ob ein Lichtteilchen durch den linken oder rechten Spalt geht, dann entsteht das ursprünglich erwartete Muster der zwei hellen Streifen. Wenn wir das Lichtteilchen beobachten, dann ist es genau dort, wo wir es beobachtet haben. Aber erst durch das Wechselwirken mit der Umwelt, hier das rein passive Beobachten, zwingen wir die Lichtteilchen, sich zu entscheiden, wo sie tatsächlich sind. Vorher existierten die Lichtteilchen an keinem bestimmten Ort, sondern lediglich als ihre Wahrscheinlichkeit, an irgendeinem Ort zu sein. Wahrscheinlichkeit drückt sich als eine mathematische Wellenfunktion aus. Deshalb hat das unbeobachtete Licht die Eigenschaft einer Welle. Unser passives Beobachten kann also Materie verändern. Diese Tatsache aus der Quantenphysik können wir auf das Verhältnis von Geist und Materie übertragen, da das Prinzip nachweislich in der Natur besteht: Unser Denken beeinflusst unsere Wirklichkeit. Ich möchte allerdings klarstellen, dass es sich bei meinen Beobachtungen und Erfahrungen nicht um quantenphysikalische Vorgänge handelt. Jeder Quantenphysiker wird das bestätigen. Jedes Wechselwirken mit irgendetwas lässt die Wellenfunktion zusammenbrechen, selbst das Vorhandensein benachbarter Atome. Wie der Placebo-Effekt und meine anderen Erfahrungen konkrete quantenphysikalische Ursachen haben könnte, sehe ich nicht. Dennoch widersprechen diese quantenphysikalischen Erkenntnisse so sehr der klassischen Physik Newtons, dass man jedenfalls festhalten kann: Rein materialistische Sehensweisen sind sowohl bei wissenschaftlichen als auch spirituellen Fragestellungen unzureichend. Sie erklären die erfahrbaren Tatsachen nicht.

Möchte man das Gute erleben, dass in allem verborgen ist, muss man mit den Gedanken anfangen. Es geschieht genau das, was ich denke, denn unser Denken erschafft eine Realität. Wenn ich denke, dass ich gut bin, kann ich gut sein. Wenn ich denke, dass ich sowieso keine Chance habe, dann habe ich keine Chance.

„Ob du denkst, du kannst es oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.“ – Henry Ford

Wir kennen diese Beispiele wie: “Denke nicht an einen rosa Elefanten.” Selbst wenn wir dieser Aufforderung nachkommen wollen, fällt es uns sehr schwer, nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Es kommt nicht darauf an, welche Aussage tatsächlich enthalten ist, also hier, ob in der Aufforderung das Wort “nicht” enthalten ist, sondern welches Bild und welches Gefühl erzeugt wird. Haben wir das Ziel, glücklich zu werden, geschieht eben nur das: Ich habe lediglich das Ziel, glücklich werden. Mehr geschieht nicht. Viel wirksamer ist deshalb der Gedanke: Ich werde glücklich sein! Ich habe alle Voraussetzungen, um aus eigener Kraft glücklich zu sein. Für mich ist es Lebensrealität, dass alle, was geschieht, etwas Gutes für mich bereithält, das größer ist als das Schlechte. Deshalb finde ich den guten Sinn, wenn ich danach suche. Ich beeinflusse meine Realität durch mein Denken.

Ich finde fast immer einen Parkplatz. Das ist so, seitdem ich Auto fahre. Oft weiß ich bereits vorher, dass ich einen Parkplatz finde, selbst wenn es sehr voll ist. In mir ist oft eine Gewissheit, die dazu führt, dass genau das geschieht. Meine Frau hat schon oft darüber gestaunt. Irgendwann wurde es für sie ebenfalls zur Gewissheit, dass ich immer einen Parkplatz finde. Auch dies ist ein Beispiel, wie unser Denken die Wirklichkeit beeinflusst. Ähnliches erlebe ich auch bei Gesellschaftsspielen. Manchmal weiß ich bereit vor dem Würfeln, dass der Wurf gut sein wird. Das Erleben des Würfelglücks beginnt dann bereits vor dem Würfeln. So haben die meisten Menschen Erfahrungen, in denen sie eine starke Ahnung haben: das wird jetzt gut. Und dann wird es meist gut.

Wenn ich es für wahr halte, dass in allem, was geschieht, ein guter Sinn liegt, dann ist das auch so. Durch meine offene und suchende Einstellung geschieht genau das: Egal wie schlimm etwas ist, das ich selbst erlebe, ich erkenne einen guten Sinn darin.

Wenn ich anderen Gutes gebe, sei es Materielles oder eine helfende Tat, dann beweise ich, dass ich genügend habe. Es wird Realität und ich erlebe Fülle. Ich bin reich, egal über wie viel materiellen Besitz ich verfüge.

Will ich das Gute erleben, sollte ich mich einfach für diese Wirklichkeit entscheiden. Es gibt niemanden, der mir sagt: das Gute gibt es für dich nicht. Ich entscheide selbst, ob das Gute vorhanden ist oder nicht. Wer sonst sollte das entscheiden wenn nicht wir selbst? Wir erschaffen durch unser Denken die Realität. Sagen wir deshalb: “In allem, was geschieht, liegt etwas Gutes für mich, dass mich dem Glücklichsein und meinem inneren Selbst näher bringt.” Wenn wir davon ausgehen, dass das Gute da ist, dann brauchen wir es nur zu suchen. Dann werden wir es finden. Tun wir es also einfach. Es gibt niemanden, der es uns verwehrt, außer uns selbst. Wer das einfach tut und nach dem guten Sinn Ausschau hält, wird ihn finden.

“Denn wer bittet, der bekommt. Wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird geöffnet.” – Lukas 11,12 HFA

Bewusst sein – zum Beobachter des eigenen Ich werden
Eine sehr gute Methode, das Nichtbewerten zu schaffen, ist es, bewusst im Jetzt zu sein. Dieses Prinzip ist auch unter dem Begriff Achtsamkeit bekannt. Es gibt einen praktischen Weg, um jederzeit und in jeder Lage bewusst zu sein: Zum Beobachter des eigenen Geistes und des Körpers werden. Dazu gehören auch Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse. 

Diese Bereiche machen unser Ich aus. Wir machen den Fehler, uns mit unserem Verstand, unseren Gefühlen, Bedürfnissen und unserem Körper zu identifizieren. Die meisten Dinge, die wir in unserem Leben tun und denken, laufen unbewusst ab. Die Abläufe ähneln einer unbewussten Programmierung. Egal, welche Entscheidungen wir treffen müssen im Leben, die unbewusste Programmierung übernimmt diese Entscheidung für uns, sofern wir nicht wirklich bewusst entscheiden. Wir naschen vielleicht gern Ungesundes, zum Beispiel Schokolade. Das hat uns bereits früher geschmeckt. Wir haben uns dabei wohl gefühlt und es genossen. Möglicherweise haben wir uns vorgenommen, nicht zu naschen, aber wenn wir an der Schokolade vorbei gehen, können wir einfach nicht widerstehen. Unser Unterbewusstsein hat durch die unbewusste Programmierung für uns die Entscheidung getroffen. Es ist einfacher für uns und kostet weniger Energie, wenn wir uns nicht bewusst entscheiden, sondern unser Unterbewusstsein mit seinen gespeicherten Gewohnheiten und Erfahrungen entscheiden lassen. Wenn wir uns diese Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst machen, uns gedanklich über die Schulter schauen, also selber beim Denken und Fühlen beobachten, dann sind wir sofort in der Lage, bewusst anders zu entscheiden. Uns wird bewusst, dass unser Ich aus einer Gewohnheit heraus entscheiden will. Dem nachzugeben, ist leicht, der Weg des geringsten Widerstandes. Als Beobachter können wir aber bewusst entscheiden. Wir wissen, dass uns der Zucker nicht gut tut. Deshalb entscheiden wir uns bewusst gegen die unbewusste Programmierung, gegen den Widerstand unseres Unterbewusstseins. Unser inneres Selbst beherrscht dann das Ich. Unser Bewusstsein beherrscht das Unterbewusstsein, das aus reiner Gewohnheit reagiert. Natürlich können wir uns auch bewusst für die Schokolade entscheiden. Dann sind wir durch unsere Achtsamkeit in der Lage, bewusst zu genießen. Nur wenn wir dem Unterbewusstsein die Entscheidung überlassen, laufen wir Gefahr, maßlos zu sein.

Wenn wir etwas objektiv Schlechtes erleben, dann wird ebenfalls eine unbewusste Programmierung aktiv. Wir wissen genau, dass eine Krankheit oder ein Schmerz unangenehm ist. Also ist es nur natürlich, dass wir das schlecht bewerten. Wir fangen an zu leiden, denn aufgrund dieser Programmierung ist es normal, dass wir dem Unangenehmen so schnell wie möglich entkommen wollen. Wenn wir uns dabei aber bewusst beobachten, dann können wir diese unbewusste Programmierung überwinden. Wir beobachten unseren Körper, wie er einen Schmerz fühlt, zum Beispiel bei einer schmerzhaften Zahnbehandlung. Wir beobachten unsere unbewussten Gedanken, die ein Geschehen als schlecht beurteilen. Wir beobachten unser Bedürfnis nach Schmerzfreiheit. Wenn wir so zum Beobachter unseres Ich geworden sind, dann hört vielleicht nicht der Schmerz auf, aber das Leiden. Wir halten die Behandlung aus und ertragen den Schmerz. Wir beobachten unseren Körper, der den Schmerz fühlt und ihn so schnell wie möglich loswerden will. Wir können hier sogar Mitgefühl mit unserem eigenen Körper entwickeln. Wir beobachten aber auch unseren Verstand, der es als sinnvoll ansieht, sich der Zahnbehandlung zu unterziehen. Wir selbst können uns dann bewusst dafür entscheiden, den Schmerz auszuhalten. Wir erkennen das Gute darin, denn ohne die Behandlung würde der Zahn nicht gesund werden und die Schmerzen würden noch zunehmen.

Während ich diesen Text schreibe, setze ich diese Technik erfolgreich ein. Seit fast sechs Wochen bin ich am fasten. Ich nehme dabei keine feste Nahrung zu mir, sondern lediglich ein wenig Obst- und Gemüsesaft. Während die Familie das Festtagsessen genüsslich verspeist, steigt mir der Geruch verführerisch in die Nase. Ich beobachte meinen Körper. Er spürt den Drang, auch zuzugreifen. Appetit, Hunger, Gemeinschaftsgefühl. Alle diese Gefühle fordern mich auf, dem Drängen nachzugeben. Das ist die normale Handlungsweise. So habe ich es im Unterbewusstsein gespeichert, nach unzähligen, schönen Ess-Erlebnissen. Aber ich entscheide bewusst, diesem Drang nicht nachzugeben und weiter an meiner Gemüsebrühe zu nippen. Ich könnte entscheiden, jetzt das Fasten zu brechen. Aber ich möchte an meinem Ziel festhalten, 40 Tage zu fasten. Bereits jetzt fühle ich den Triumpf, durch bewusstes Entscheiden Herr über meine Bedürfnisse zu sein. Da ich dazu in der Lage bin, weiß ich, dass ich im Leben alles erreichen kann, was ich wirklich will und das gut für mich ist.

Beim Beurteilen von dem, was in unserem Leben geschieht, ist es wie in dem Zahnarztbeispiel: Wir können uns beim Wahrnehmen und Beurteilen der Situation beobachten. Wir nehmen wahr, wie wir aufgrund unserer unbewussten Programmierung die Situation als schlecht bewerten würden. Aber wir entschließen uns, es erst einmal nicht zu bewerten, sondern nach dem guten Sinn Ausschau zu halten. In dem Augenblick, in dem wir es als schlecht bewerteten, nähmen wir uns die Möglichkeit, etwas Gutes darin zu erkennen. Deshalb entscheiden wir uns doch bewusst dafür, es nicht zu bewerten.

Viele Menschen werden erst “wach”, also bewusst, wenn sie eine Krise erleben, zum Beispiel Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Verlust. Dann ist von außen eine derart neue Situation eingetreten, dass man zum ersten Mal nach langer Zeit wieder bewusst Entscheidungen trifft, abseits jeder programmierten Gewohnheit. Die Situation ist so neu und bedeutend, dass man kaum auf gespeicherte Erfahrungen zurückgreifen kann. Man betrachtet sich vielleicht zum ersten Mal bewusst selbst und fragt sich, wer hier überhaupt die Entscheidungen trifft, mein “Gewohnheits-Ich” oder mein inneres Selbst. Die Neurowissenschaft nennt diesen Vorgang “Metakognition”. Das bedeutet, man nimmt seine eigenen Gedanken, Meinungen, Einstellungen und Entscheidungsprozesse bewusst wahr. Dazu gehört auch die Kontrolle über die eigenen Gedanken, also deren Überwachung und Selbstregulierung. Anschaulich könnte man sagen, man fängt an, über die eigenen Gedanken nachzudenken.

Im Frontallappen unseres Gehirns sitzt u. a. unsere Selbstwahrnehmung. Er bildet einen verhältnismäßig großen Teil unseres Gehirns (30%). Und doch haben die meisten Menschen kaum Übung darin, sich selbst beim Denken zu beobachten. Wir lassen viel Potenzial ungenutzt. Das, was wir denken, muss nicht unbedingt wahr sein, nur weil wir es denken. Wir sollten also nicht alles glauben, was wir denken. Wenn wir unsere Gedanken bewusst “beobachten”, dann stellen wir auch fest, dass wir in der Lage sind, unsere Gedanken zu bewerten und aufgrund dieser Bewertung bewusst zu entscheiden. 

Anfangs fällt es schwer, bewusst zu bleiben. Immer wieder werden wir abgelenkt durch das, was in unserem Leben geschieht. Aber das ist reine Übungssache. Je mehr wir uns in unserem Alltag bewusst beobachten, desto öfter und dauerhafter sind wir bewusst im Jetzt. Das Ziel ist, jederzeit bewusst zu bleiben, was immer auch geschieht. Ich selbst arbeite auch noch daran, auch wenn ich bereits gute Fortschritte mache. Irgendwann werde ich wirklich in jeder Lebenssituation sagen können: “Ich habe nichts gegen das, was geschieht.”

Als Schlussbemerkung dieses Abschnittes möchte dazu einladen, einen Blick auf die eigene Seele zu werfen und ihr gleichsam nachzublicken, wenn diese Ahnung an uns vorbeizieht. Nachblicken deshalb, weil unsere Seele nicht von dieser Welt ist und nicht mit unseren beschränkten Möglichkeiten gesehen werden kann. Ähnlich der Unmöglichkeit, Gott zu sehen und eindeutig zu begreifen. Mose wollte Gott sehen, und Gott sagte ihm, er könne ihn nicht sehen, aber er könne ihm nachblicken, wenn er an ihm vorbei zieht. Auf diese Weise können wir eine Ahnung von unserer Seele gewinnen. Unser Bewusstsein ist nicht mit unserer Seele gleichzusetzen. Diesem Gedanken zu folgen, erfordert eine gewisse Fertigkeit in der “Metakognition”. Wie beschrieben können wir zum Beobachter des eigenen Ich werden, unseres Verstandes, des Körpers, der Gefühle. Fortgeschrittene sind sogar in der Lage, den Beobachter selbst zu beobachten. Das ist ein abstrakter Gedanke. Wenn wir versuchen, diese geistige Höchstleistung zu vollbringen, erhalten wir vielleicht eine kurze Ahnung, einen kurzen Blick auf das, was hinter dem Beobachter liegt. Es gibt etwas in uns, dass eine tiefe, ausschließlich gute Wahrheit darstellt. Das könnte unsere Seele sein, unser tiefstes Selbst, die Essenz unseres Seins, etwas, dass sich jeder Beschreibung entzieht und immer eine Ahnung bleiben wird. Dieses Gedankenexperiment zeigt uns, dass wir nicht nur mit unserem Ich nicht gleichzusetzen sind, sondern auch nicht mit unserem Bewusstsein. Wir sind nicht unser Körper und unser Verstand, sondern haben einen Körper und einen Verstand. Wir können uns unseres Körpers und unseres Verstandes bewusst sein. Aber wir sind auch nicht unser Bewusstsein, denn wir können das Bewusstsein beobachten.

Christliche Sehensweise: Gott versieht alles mit einem guten Sinn
Ich bin aktiver Christ. Die Erkenntnisse, die ich oben beschrieben habe, sehe ich deshalb vor allem in religiösem Zusammenhang. Diese christliche Sehensweise widerspricht der oben beschriebenen in keiner Weise. Vielmehr stellt der Glaube an das Gute in allem, was geschieht, eine Möglichkeit dar, absolutes Gottvertrauen im Alltag tatsächlich zu leben. Als Christ sehe ich das so: Welche Eltern, die ihr Kind lieben, möchten nicht, dass das Kind glücklich ist? Bei Gott ist das nicht anders. Gott versieht alles mit einem Sinn für mich, denn ich bin mir seiner bedingungslosen Liebe gewiss. Darauf kann ich in jeder Lage vertrauen. Ich weiß, dass er entweder konkret eingreift oder in das, was geschieht, etwas Gutes hineinlegt, das mich näher zu ihm führt und weiter in meiner Selbsterkenntnis. Alles führt mich dahin, weiter dem zu werden, der ich in Wirklichkeit bin. Es ist, als ob Jesus Christus an meiner Seite ist und sagt:

“Ich bin auf jeden Fall bei dir. Wir sind immer zu zweit. Du bist niemals allein. Seite an Seite werden wir gewinnen, was auch immer geschieht. Gott wird dir auch stets die Kraft schenken, das zu tun, was dich ihm näher bringt. Und selbst wenn Gott nicht eingreift und Dinge ändert, verleiht er dem, was geschieht, einen guten Sinn, der dich glücklicher macht. Suche den guten Sinn in allem! Ich helfe dir, den guten Sinn zu finden.”

Das christliche Prinzip, das dahinter steht, ist die Hoffnung. Die Hoffnung ist eine Tochter des Glaubens. Sie ist die Vorerwartung des Guten, verbunden mit einer festen Zuversicht, dem festen Vertrauen: Das wird sich so ereignen. Wer diese feste Zuversicht hat, der hat Frieden im Herzen. Er braucht keine Angst vor der Zukunft zu haben. Er weiß vielleicht nicht, was genau geschehen wird, aber er weiß, dass es gut ist, glücklich macht und näher zu Gott führt. Diese Hoffnung ist kein Vertrösten auf die Zukunft, im Sinne von “irgendwann wird es einmal besser sein”. Die Gewissheit, dass das Gute geschieht, führt bereits jetzt zu Freude und Glücklichsein. Diese guten Gefühle erlebe ich also bereits, bevor das, worauf ich hoffe, wirklich eintritt. Dadurch wirkt es sich bereits in der Gegenwart aus, nicht erst, wenn es geschieht. Es ist für mich bereits jetzt Wirklichkeit geworden.

“Deshalb sage ich euch: Um was ihr auch bittet – glaubt fest, dass ihr es schon bekommen habt, und Gott wird es euch geben!” – Markus 11,24 HFA

Die Hoffnung kann gefestigt werden. Je fester die Hoffnung ist, desto mehr wirkt sie sich im Jetzt aus. Der Schlüssel zu einer festen Hoffnung ist die Dankbarkeit. Bin ich Gott bereits jetzt dankbar für das, was ich erleben werde, dann ist der gute Sinn, den Gott in das, was geschieht, hineinlegt, eine Tatsache. Die Dankbarkeit führt dazu, dass ich bereits im Jetzt die positiven Gefühle erlebe, die ich haben werde, wenn ich irgendwann den Sinn erkannt habe. So erlebe ich in jeder Hinsicht eine Fülle. Das Gute ist für mich bereits Realität geworden. Dazu wird sich Gott immer bekennen.

Wenn Gott etwas tatsächlich Schlechtes zulässt, vielleicht sogar etwas sehr Bedeutendes, dann muss auch ein entsprechend bedeutsamer Sinn für mich enthalten sein. Ich setze alles daran, diesen Sinn zu erkennen. Gott ist Liebe. Niemals würde er zulassen, dass mir etwas geschieht, dem der gute Sinn fehlt. Dieser gute Sinn ist immer etwas, das mich glücklicher macht und mir das Bewusstsein der Nähe Gottes ermöglicht und immer wieder stärkt.

“Das eine aber wissen wir: Wer Gott liebt, dem dient alles, was geschieht, zum Guten…” Römer 8,28 HFA

Wege zur Erkenntnis des guten Sinnes
Wenn ich Menschen aus eigenem Erleben erzähle, dann sagen sie oft, dass ihre Situation eine andere sei, mit meiner nicht zu vergleichen. Sie haben große Schwierigkeiten, das Gute darin zu erkennen. Es scheint auf sie nicht zuzutreffen. Zumindest ist der gute Sinn für sie scheinbar zu tief verborgen.

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass man in objektiv schlechten Ereignissen nur subjektiv etwas Gutes erkennen kann. Andere sehen dieses Gute nicht oder nur sehr selten. Unten schildere ich das Beispiel des Todes meines Vaters. So wie ich das erzähle können viele Menschen nachvollziehen, dass ich darin überwiegend Gutes sehe. Aber wenn es um den eigenen Schmerz geht, dann glauben sie nicht daran, dass auch in dem Ereignis, das sie selbst erleben, etwas Gutes enthalten ist, das bedeutender ist als der Schmerz.

Im Jahre 1755 ereignete sich ein schweres Erdbeben, das durch einen Tsunami und Großbrände die Stadt Lissabon nahezu dem Erdboden gleichgemacht hatte. Mit fast 100.000 Toten war es eine der verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte. Fast alle Kirchen wurden zerstört. Nur das Rotlichtviertel, die Alfama, blieb verschont. Viele Menschen verloren dabei den Glauben an einen guten und gerechten Gott. Wie soll man in so einem Ereignis auch nur irgend etwas Gutes erkennen?

Ich las über einen lissaboner Kaufmann. Leider habe ich die Quelle nicht mehr finden können, so dass ich seine Geschichte aus dem Gedächtnis erzählen muss. Dieser Kaufmann war an dem Tage in dem alten, maurischen Viertel Alfama unterwegs, auch als Rotlichtviertel bekannt. Das führte dazu, dass er einer der wenigen Überlebenden war. Dieses Geschehen beeindruckte ihn derart, dass er sein Überleben als eine Aufforderung Gottes sah, sein Leben zu überdenken und für das Gute einzusetzen. Er führte ein glückliches und erfülltes Leben, in Demut und Dankbarkeit. 

Niemand wird behaupten können, dass das Erdbeben etwas Gutes gewesen sei. Aber dieser Kaufmann machte aus diesem objektiv Schlechten etwas Gutes. Für so Viele war es die größte Katastrophe. Auch der Kaufmann hatte wahrscheinlich schwere Verluste zu beklagen: sein Haus, Familie, Freunde. Doch für ihn war es der Weg zum Glück. Es geschehen schreckliche Dinge, aus denen viel Leid folgt. Aber es ist die Aufgabe eines jeden Menschen, aus dem Schlechten etwas Gutes zu machen.

Folgende Fragen kann man sich stellen, um das Gute zu finden:

  • Was soll ich tun? Ist das Geschehen ein Hinweis auf etwas, dass ich tun kann, um Gutes zu bewirken?
  • Was kann ich daraus lernen? Wie soll ich mich ändern? Wie kann ich mehr zu dem Menschen werden, der ich wirklich bin?
  • Welch größeres Glück ergibt sich daraus?
  • Welch größeres Übel wurde dadurch verhindert?

Wenn wir nicht nach dem guten Sinn forschen, ist alles, was geschieht, das Werk von Menschen oder dem Zufall. Wenn wir aber nach dem Guten Ausschau halten, dann wird unser Erleben zur Chance, zur guten Gelegenheit, zum erlebbaren Beweis der Liebe Gottes zu uns.

Der gute Sinn – Beispiele aus eigenem Erleben
Im Mai 2019 habe ich zum ersten mal beschlossen, das, was geschieht nicht zu bewerten, so dass ich den guten Sinn erkenne, der in dem Geschehen verborgen ist. Seitdem habe ich nicht mehr damit aufgehört. Die Folge war eine Vielzahl von Erlebnissen, in denen ich den verborgenen Sinn erkennen konnte. Nicht immer war dieser gute Sinn sofort zu sehen. Manchmal brauchte ich Geduld. Meistens kamen die Erkenntnisse aber zeitnah. Inzwischen kommen die Erkenntnisse oft sogar noch während des Geschehens. Aber selbst wenn der Sinn auf sich warten lässt, beunruhigt mich das in keiner Weise, da ich weiß, dass ich den Sinn irgendwann erkennen werde. Ich verstärke deshalb lediglich meine Anstrengungen, zur Erkenntnis zu gelangen. Dazu nutze ich auch Gebet und Meditation.

Die folgenden Erlebnisse sind nur Beispiele. Es handelt sich nicht um eine abschließende Aufzählung. Die Beispiele habe ich ausgewählt, um ein große Bandbreite darzustellen. Ich wünsche jedem Leser, davon inspiriert zu werden.

Tu so, als ob
Mir ist bewusst, dass viele Menschen damit Schwierigkeiten haben zu glauben, dass alles, was geschieht, einen guten Sinn hat, der uns glücklicher macht. Zu oft hat man erlebt, dass sich Dinge schlecht entwickelten. Zu oft litt man darunter. Zu oft wurde man enttäuscht. Zu oft verlor man die Hoffnung. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es einem jeden Menschen bestimmt ist, das Gute zu erleben und wahrhaft glücklich zu sein. Deshalb versuche ich, möglichst anschauliche Bilder und Beispiele aus der Praxis des eigenen Erlebens zu verwenden. 

Sollten die Techniken aus den folgenden Beispielen dennoch als zu schwierig erscheinen, empfehle ich jedem, einfach so zu tun, als würde man es glauben. Das Tun schafft dann seine Wirklichkeit. Ich brauche nicht alles zu glauben, um eine Wirkung erzielen zu können. In den Beispielen “An der Supermarktkasse”, “In der Straßenbahn” und “Im Straßenverkehr” geht es um das Segnen anderer Menschen, also darum, Verbundenheit herzustellen und ihnen Gutes zu wünschen. Selbst wenn ich skeptisch bin, dass meine eigene Verbundenheit zu meinen Mitmenschen ihre und meine Welt verbessert, so kann ich es dennoch erleben, wenn ich dementsprechend handele. Das Gute folgt dem guten Handeln. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich das vorher geglaubt habe oder nicht.

Meine Krebserkrankung
Meine Krebserkrankung von 2015 bis 2018 war das erste Mal, dass ich den guten Sinn in einem objektiv sehr schlechten Ereignis erkennen durfte. Ich bin davon überzeugt, dass Gott mich diesen Sinn hat erkennen lassen, damit ich mit dieser Erkenntnis wachse und später in der Lage bin, anderen Menschen meine Erfahrungen weiter zu geben und zu einem bewussten und wahrhaft glücklichen Leben zu verhelfen. Meine Krankheitsgeschichte habe ich hier nacherzählt: Wie mich Gott in seine Nähe zog. Es war Gottes Wille, dass ich meine Bestimmung endlich finden sollte. Die Krankheit war der erste und entscheidende Schritt. Vorher führte ich ein unbewusstes Leben wie die meisten Menschen. Ich hatte einen Job, den ich zwar gern ausübte, der mich aber nicht wirklich glücklich machte. Und als Berufung hatte ich meine beruflichen Tätigkeiten auch nie empfunden. Ich war schon zufrieden mit meinem Leben, aber von wahrem Glücklichsein war ich weit entfernt. Das konnte ich erst erkennen, als ich zum ersten Mal wahrhaft glücklich war nach der Krankheit und als ich meine ersten Einheitserlebnisse hatte, bei denen ich mich mit allen Menschen, ja der gesamten Schöpfung verbunden fühlte. In meinem Text Spirituelle Gotterfahrungen: Am Tankumsee habe ich eines dieser Erlebnisse beschrieben.

Es musste erst dieser große Bruch in meinem Leben stattfinden, um diese Entwicklung machen zu können. Zu festgefahren waren meine Einstellungen zum Leben. Das ist in unserer Gesellschaft natürlich “normal”. Ich vergleiche das gern mit der Entwicklung eines Schmetterlings: Als Raupe hat er keine Ahnung wie es ist, zu fliegen. Vielleicht hat er eine gewisse Vorstellung, die in seinen Genen verankert ist. Aber wie es tatsächlich ist, zu fliegen, das kann die Raupe nicht wissen. Dann verpuppt sie sich, um bald als Schmetterling seine wunderbare Bestimmung zu leben. Raupe und Schmetterling sind ein und dasselbe Geschöpf, doch es hat eine grundlegende Entwicklung stattgefunden. Deshalb habe ich den Schmetterling als Symbol für meine Homepage gewählt. Der Schmetterling ist ein wunderbares Bild für die Entwicklung des Menschen hin zu seiner wahren Bestimmung und zu einem bewussten Leben. Ein Leben voller wahrhaftigem Glücklichsein, dessen Ausmaß man vorher nicht einmal erahnen konnte.

Inspiriert hat mich in dieser Zeit, wie Hildegard von Bingen (1098 – 1179) mit ihren zahlreichen Krankheiten umging. Sie hat sie immer als eine Chance begriffen, als einen Prozess, in dem in ihr etwas Neues entstand. Manchmal bekam sie dadurch den Mut, das zu tun und zu sagen, was Gott von ihr wollte bzw. was ihre Bestimmung war. So wurde sie mit jeder Krankheit mehr zu dem Menschen, der sie war.

Unsere Krankheiten helfen uns, zu lernen. Wir sollten sie annehmen und unser Leiden überwinden. Manchmal liegt auch der Sinn der Krankheit darin, anderen ein Vorbild zu sein, die unter ihrer Krankheit leiden, ein Vorbild im Umgang mit dem Schmerz. Ich bin durch das Erleben von Krankheit vielleicht auch besser in der Lage, mich in andere hineinzuversetzen, so dass ich ihnen noch näher sein kann. Dann wird meine Krankheit ein Ausdruck der Verbundenheit. Und es ist ein großer Unterschied auch für andere, ob ich meine Krankheit annehme oder ob ich in Selbstmitleid versinke.

Eine Partnerschaft besteht aus Geben und Nehmen. Mal gibt der eine mehr und mal der andere. Der, der gibt, muss auch mal nehmen dürfen und so dem Partner die Gelegenheit verschaffen, auch mal geben zu können. Auch dazu kann eine Krankheit gut sein. So vermag der Sinn von Krankheit sehr unterschiedlich zu sein. Aber immer liegt darin etwas Gutes, das bedeutsamer ist als die Krankheit.

Die Computertomografie
Im Mai 2019 begann ich damit, auch Kleinigkeiten des Alltags nicht mehr zu bewerten. Am Morgen nahm ich mir vor, was immer auch an dem Tag geschehen sollte, nicht emotional und automatisch schlecht zu bewerten. Ich hatte im Krankenhaus im Rahmen der Krebsnachsorge einen Termin zur Computertomografie. Den Termin hatte ich um 0900 Uhr. Um 1130 Uhr war ich der letzte Patient im Wartezimmer. Als die Arzthelferin ins Wartezimmer kam, eröffnete sie mir, dass gerade ein Notfall herein käme und sich ein weiterer Notfall angekündigt hätte. Ich könne noch spazieren oder in die Cafeteria gehen. Im Bewusstsein meines Gelassenheits-Vorhabens bedankte ich mich für die Information und sagte, dass ich zufrieden sei. Zehn Minuten später kam sie erneut ins Wartezimmer und sagte: “Der Notfall ist schon fertig und der neue kommt etwas später. Sie können jetzt hereinkommen.”

Für mich war das die erste Bestätigung, dass ich mit meiner bewussten Gelassenheit genau richtig lag. Früher hätte ich mich geärgert über die lange Wartezeit. Vielleicht hätte ich auf das Krankenhaus geschimpft wegen der schlechten Organisation. Ich wäre ungeduldig geworden und hätte mich nicht wohl gefühlt. Die schlechte Stimmung hätte mir den ganzen Tag verdorben. Nun war ich glücklich über meinen Erfolg und glücklich über die Erkenntnis, richtig gehandelt zu haben.

Der Sinn des Ganzen: Meine erste bewusste Erfahrung mit dem Thema Gelassenheit im Alltag. Ich beschloss, dies in Zukunft immer so zu handhaben. Und dabei ist es überwiegend geblieben, auch wenn ich mich manchmal dabei erwische, doch wieder unbewusst gewesen zu sein. Kein Mensch ist vollkommen. Zwischen bewusst und unbewusst gibt es viele Abstufungen. Übung macht auch hier den Meister. Jeder Erfolg führt weiter voran auf dem Weg zum Glücklichsein.

An der Supermarktkasse
Viele werden das kennen: Egal, an welcher Kasse man sich anstellt, man stellt sich immer an der falschen an. Das hat damit zu tun, dass wir genau das erwarten. Deshalb nehmen wir genau das wahr. Mit meiner Haltung, gelassen zu bleiben, bin ich in der Lage, solche Situationen zu vermeiden.

Wenn ich mich an einer bestimmten Kasse anstelle, dann vermute ich einen guten Sinn darin, dass ich ausgerechnet diese Kasse ausgewählt habe. Ich begebe mich deshalb auf die Suche. Ich schaue mir an, wer vor mir und wer hinter mir ist. Hat es der junge Mann hinter mir vielleicht eilig? Er hat auch nur wenige Teile. Ich lächle ihn an und bedeute ihm, dass ich ihn gern vor lasse. Wenn er annimmt, dann freue ich mich mit ihm. Wenn er ablehnt, dann freuen wir uns beide trotzdem über unsere gewonnene Verbundenheit.

Einmal war eine Frau vor mir mit einem vollen Einkaufswagen. Sie bot mir an, mich vor zu lassen. Ich hatte es zwar nicht eilig, aber ich wollte der Frau nicht die Gelegenheit nehmen, etwas geben zu können. Deshalb nahm ich dankend an. In dem Moment machte die Kasse neben uns auf. Sofort nutzten aufmerksame Kunden die Gelegenheit. Die Frau, die nun hinter mir stand, merkte, dass sie zu langsam war und fluchte. Daraufhin drehte ich mich zu ihr um und fragte sie, ob sie vor möchte. Gemeinsam lachten wir über die Absurdität dieser Situation. Die Frau hatte aus Gewohnheit ungeduldig reagiert, obwohl sie mich vor wenigen Augenblicken selbst vor gelassen hatte. Niemand hatte in der Situation etwas gewonnen oder verloren, aber wir beide gingen etwas glücklicher aus dem Supermarkt als wir hineingegangen waren.

Wenn ich mich in einer solchen Alltagssituation befinde, dann, frage ich mich, wo ich Menschen den Tag ein klein wenig angenehmer machen kann. Die Begegnung mit mir soll für andere Menschen ein Gewinn sein, selbst wenn es nur eine kurze Begegnung ist. Ich möchte, dass andere Menschen etwas aufrechter aus einer Begegnung mit mir herausgehen als sie es vorher waren. Das erreiche ich dann durch Freundlichkeit, Geduld und Hilfsbereitschaft. Bevor ich in Alltagssituationen den guten Sinn lange suche, schaffe ich ihn einfach selbst.

In der Straßenbahn – Vom Segen und Segnen
Als ich im Oktober 2008 meine Arbeitsstelle bei der NÜRNBERGER Versicherung antrat, begann ich mit einer Woche der Einarbeitung in Nürnberg. Ich reiste bereits am Vortag an. Der Morgen des ersten Tages war ein dunkler, nebliger und regnerischer Herbstmontag. Als ich in die Straßenbahn stieg, fiel mir auf, dass die Gesichter der anderen Fahrgäste der Witterung entsprachen: Düsteren Blicks in sich gekehrt, schickten sie sich an, den Ort ihrer täglichen Pflichterfüllung zu erreichen. Sie taten mir leid. Ich hätte ihnen gern irgendwie geholfen. Aus einer Eingebung heraus begann ich, mir für jeden Menschen in der Straßenbahn auszumalen, wie ihr Tag aussehen könnte und wünschte ihnen im Stillen etwas Gutes. Einer älteren Dame wünschte ich schöne Begegnungen, die sie erfreuen. Einem Mann wünschte ich die Anerkennung, die er sich wünscht. Einem jungen Mädchen wünschte ich, dass sie in der Schule Dinge lernt, von denen sie bereits jetzt spürt, dass dieses Wissen für sie wertvoll ist. Zwei Jungen wünschte ich, dass sie ihre Freundschaft stärken und erleben können. 

So hatte ich für jeden einen guten Gedanken und einen guten Wunsch. Nachdem ich alle Fahrgäste und den Fahrer durch hatte, bemerkte ich eine wunderbare Veränderung: Ich nahm wahr, dass die Menschen lächelten. Es war plötzlich eine ganz andere Stimmung als vorher. Teilweise unterhielten sie sich und scherzten. Von der düsteren Herbststimmung am Anfang war nichts mehr zu spüren. Es ist natürlich möglich, dass ich lediglich einem Wahrnehmungseffekt erlegen war und gar keine echte Veränderung stattgefunden hat. Aber selbst dann hat zumindest in mir selbst eine echte Veränderung stattgefunden. Ich befand mich in einer gehobenen Stimmung und ich fühlte mich mit den Menschen in meiner Umgebung verbunden. Seit dieser Zeit habe ich diese Vorgehensweise des „Gutes wünschen“ oft angewendet. Und immer hatte es diesen wunderbaren Effekt. Mir ist im Laufe der Jahre klar geworden, dass es sich dabei nicht nur um einen Wahrnehmungseffekt handelt. Es geschieht tatsächlich eine Veränderung. Ich bewirke diese Veränderung, indem ich Gottes Liebe auf dieser Erde verwirkliche.

Alle Menschen sind miteinander verbunden. Buddhisten sagen sogar, alle Menschen seien eins. Für mich ist die Verbundenheit aller Menschen eine Tatsache. Leider ist den meisten Menschen diese Verbundenheit nicht bewusst. Wenn ich einem Menschen begegne, dann bin ich mir bewusst, dass in ihm etwas sehr Gutes verborgen ist und dass er von Gott so sehr geliebt wird wie ich von ihm geliebt werde. Ich schaue hinter das Unbewusste in dem anderen, das aus schlechtem Erleben kommt und zu schlechten Taten und Gedanken führt. Dahinter ist dieses Gute verborgen. Das suche ich und das mache ich mir bewusst. Ich lasse Gottes Liebe in die Verbindung zu meinen Mitmenschen einfließen. Jesus hat viel von der Feindesliebe gesprochen. Das Ergebnis des Bewusstwerdens der Verbundenheit bedeutet, dass man keine Feinde hat.

“Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.” Lukas 6,27.28

In meinem christlichen Glauben kenne ich das gute Prinzip der Fürbitte. Ich wünsche anderen Menschen das Gute und bin mir unserer Verbundenheit gewahr. Mit anderen Worten: Ich segne den anderen. Mit diesem Segnen rücke ich den anderen Menschen in den Einflussbereich der Liebe Gottes. Das hat spürbare Auswirkungen bei mir und dem anderen. Wenn mir jemand unsympathisch ist und ich mit diesem Menschen womöglich bereits Konflikte und Meinungsverschiedenheiten hatte, rufe ich mir alle seine guten Eigenschaften ins Bewusstsein. Ich danke Gott für die guten Eigenschaften, die der andere hat. Mir wird auch bewusst, dass das Unbewusste ihn davon abhält, glücklich zu sein. Ich wünsche ihm, dass er glücklich sein möge. Dieses Segnen hat gute Auswirkungen bei mir und bei dem anderen.

Das Erleben in der Straßenbahn war nichts anderes: Ich segnete die anderen Fahrgäste. Und ich erlebte den Segen, den ich gab, auch bei mir selbst. Denn wir sind alle miteinander verbunden.

Im Straßenverkehr
Bei vielen Menschen werden im Straßenverkehr schlechte Emotionen geweckt. Da nimmt einem jemand die Vorfahrt oder den Parkplatz. Da schläft jemand an der Ampel. Ein Sonntagsfahrer hält den ganzen Verkehr auf. Ich bekenne mich schuldig, ebenfalls gelegentlich solche Gedanken und Emotionen zu haben, beziehungsweise früher gehabt zu haben. Besonders wenn ich es eilig hatte, weil ich pünktlich einen Termin erreichen wollte. Dann geriet ich in eine so schlechte Stimmung, dass mich jede Kleinigkeit weiter in diesen Abgrund trieb.

Mittlerweile habe ich solche schlechten Emotionen überwunden. Das hat mehrere Gründe. Zum einen bin ich gelassener was Dinge angeht, die ich nicht ändern kann. Ich bewerte nicht, was geschieht und ich vertraue auf das Gute, das darin verborgen ist. Und ich segne die anderen Verkehrsteilnehmer, ähnlich wie ich es bei dem Beispiel “In der Straßenbahn” beschrieben habe.

Ein Beispiel: Mir nimmt ein Verkehrsteilnehmer hart die Vorfahrt, so dass ich sogar bremsen muss. “Ein alter Mann mit Hut, der sollte seinen Führerschein abgeben!” Früher hätte ich mich so oder ähnlich aufgeregt, unhörbare Beleidigungen ausgestoßen und mich trotzdem schlecht gefühlt. Mit der gleichen Technik des Segnens wie in der Straßenbahn male ich mir aus, in welcher Situation sich der andere befinden könnte:
Vielleicht ist der Mann einsam. Das Auto ist seine einzige Möglichkeit, am Leben teilzuhaben. Seine letzte große Freiheit: seine Mobilität. Er weiß, dass er nicht mehr der leistungsfähigste ist. Ihm ist klar, dass das für andere in Grenzsituationen gefährlich werden könnte. Deshalb fährt er bewusst langsam und vorsichtig. Und er fährt nur, wenn es sein muss. Jetzt ist er unterwegs zu seiner Frau, die sich in einem Pflegeheim befindet. Seine einzige Gelegenheit, seine Frau zu sehen, ist, das Auto zu benutzen. Er weiß, dass er mir die Vorfahrt genommen hat und es tut ihm leid. Und er hat Angst, deshalb seinen Führerschein zu verlieren und damit seine letzte Freiheit. Ich wünsche ihm alles Gute.

Ich weiß nicht, ob irgend etwas von meinen Annahmen den Tatsachen entspricht. Das ist aber auch nicht wichtig. Es gibt immer nachvollziehbare Gründe, warum Menschen handeln wie sie handeln. Durch das Annehmen des Guten in dem anderen komme ich selbst in einen anderen Zustand. Da ist kein Verletztsein mehr, kein Gedanke an Übervorteilung, keine Abneigung, kein Hass, kein Ärger, keine Angst, benachteiligt zu werden. Stattdessen fühle ich mich mit ihm verbunden. Sollte ich ihm jetzt begegnen, an der Ampel, auf dem Parkplatz oder sonst wo, ich würde ihm lächelnd einen guten Tag wünschen und gegebenenfalls fragen, ob ich ihm helfen kann. Meiner Verbundenheit mit ihm bin ich mir ja bereits vorher bewusst geworden. Auf diese Weise vermag ich, mir der Verbundenheit zu allen Menschen bewusst zu werden. Niemanden nehme ich dabei aus. Kein Mensch ist zu gering. Jeder hat es verdient, dass ich ihn segne.

Der Erzieher
Ein junger Mann war in meinem Coaching. Ich nenne ihn Christian. Er war Handwerker, Handballspieler, kräftig und gut aussehend, doch dann bekam er Multiple Sklerose. Aufgrund von krankheitsbedingten Fehlzeiten entließ ihn sein Arbeitgeber. Anschließend fiel er in eine depressive Verstimmung. Sein Leben zerstört von der Krankheit, fühlte er sich angewiesen auf den guten Willen anderer. Dass er jemals wieder sein Leben in den Griff bekommen würde, war für ihn nicht zu erkennen. Das Stimmungstief schien kein Ende zu nehmen. Seine Zukunft lag im Dunkeln.

Zu Beginn meines Coachings habe ich ihm geholfen, seine guten Eigenschaften zu erkennen und sein Selbstbild zu formulieren. Dabei kam heraus, dass eine seiner hervorragenden Eigenschaften “kinderlieb” war. Er sagte, er liebe Kinder und wenn sie eine große Familienfeier hätten, dann übernähme er immer das Beiprogramm für die Kinder. Den Vorschlag, eine Umschulung zum Erzieher zu machen, lehnte er zunächst ab; er wollte Handwerker bleiben. Dann wurde er immer nachdenklicher und schließlich fing er an, sich für den Gedanken zu begeistern, Kindern zu helfen, sich zu entwickeln und sich ein glückliches Leben zu schaffen.

Doch so einfach war es dann doch nicht. Die Rentenversicherung lehnte die Finanzierung einer Umschulung ab; Christian müsste von BAföG leben; das war für ihn inakzeptabel. Außerdem bekam er vom Landkreis eine Stelle als Hausmeister angeboten. Das könnte er körperlich gut leisten und er würde endlich wieder Geld verdienen. Er konnte sich nicht entscheiden. Schließlich wurde er wieder depressiv, kam zwei Wochen lang nicht aus dem Bett heraus. Dazu kam, dass seine Eltern versuchten, ihn zu beeinflussen. Der Arzt verschrieb ihm ein Antidepressivum. 

Christian hatte viele gute Eigenschaften. Er war fähig, Entscheidungen zu treffen. Lange hin und her zu überlegen, war nicht sein Ding. Und er war ein Mensch, der bereit und in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen. Nur die Entscheidungen seines eigenen Lebens, die traf er nicht.

So schrieb ich ihm ans Krankenlager einen Brief, in dem ich ihm beschrieb, warum mir klar vor Augen stand, weshalb es ihm momentan wieder so schlecht ging: Er wurde seinem eigenen guten Selbstbild nicht gerecht. Wo war der junge Mann, der Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen kann? Ich schrieb ihm, es würde ihm sofort besser gehen, wenn er endlich für sich selbst die Verantwortung übernehmen und eine Entscheidung für sein eigenes Leben treffen würde. So würde er seinem eigenen Selbstbild gerecht werden und das würde gute Auswirkungen haben. Seine Depression zeige ihm deutlich, dass er endlich zu dem werden sollte, der er ist. Am nächsten Tag war er wieder da. Er machte einen entschlossenen, sich selbst bewussten Eindruck. Ich sagte ihm: “Na, Christian, ich sehe, Du hast die Verantwortung für Dein Leben übernommen und eine Entscheidung getroffen.”

Christian musste in jungen Jahren an einer schweren Krankheit erkranken, die ihn berufsunfähig machte. Der Sinn dieser Krankheit lag darin, dass er den Beruf ergreifen sollte, der für ihn bestimmt war und der ihn sehr glücklich machen wird. Er erkannte diesen Sinn der Krankheit. Er lernte sich im Coaching selbst kennen. Und er erlebte, dass in dem, was geschieht, etwas Gutes liegt, das ihn mehr zu dem werden lässt, der er eigentlich ist. Er erkannte, dass ein glückliches Leben vor ihm liegt. Ich weiß nicht, welchen Verlauf sein Leben wirklich nehmen wird. Aber ich wünsche ihm das Allerbeste. Dieses Beste wird er erreichen, wenn er seinem guten Selbstbild treu bleibt.

Jobvermittler oder Lifecoach?
Im Sommer 2020 hatte ich von einem Bildungsträger die Aufgabe übernommen, Teilnehmer von achtwöchigen Jobcoaching-Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit zu betreuen. Wir waren als Coach zu zweit. Jeder von uns hatte eine Gruppe zu betreuen. Mein Kollege Daniel war ein erfahrener Jobvermittler, der viele Arbeitgeber der Region persönlich kannte und mit vielen Personalleitern auf “Du” stand. Er hatte einen guten Einblick in den verdeckten Stellenmarkt, wusste wo die Stellen zu finden waren, die nicht öffentlich ausgeschrieben waren. Er war ein hervorragender Netzwerker. Mit Erfahrung und Kreativität fand er immer wieder Ideen für neue berufliche Chancen der Teilnehmer.

Meine Stärken liegen eher im Bereich des Lifecoaching. Ich sah es deshalb als meine wichtigste Aufgabe, den Menschen zu helfen, ihre guten Eigenschaften zu erkennen und ihr Selbstbild formulieren zu können. Ich half ihnen, sich selbst bewusst zu werden und zuversichtlich in eine glückliche Zukunft zu schauen. Die meisten der Teilnehmer litten unter dem Druck und der Bevormundung der Arbeitsagentur. Sie empfanden die Behandlung als würdelos. Manche der arbeitslosen Menschen wurden seit Jahren von einem Billigjob in den nächsten geschoben und von einer Coaching-Maßnahme in die andere. So hatten viele den Glauben an sich selbst und an ein glückliches Berufsleben verloren.

Im Spätsommer spürte ich eine Enge im Hals. Es war sehr unangenehm. Vom Gähnen musste ich würgen. Eines Mittags war es so schlimm, dass ich ständig aufpassen musste, mich nicht zu übergeben. Ich beendete die Arbeit und fuhr nach Hause. Meiner Vorgesetzten schrieb ich am Abend, dass ich am nächsten Tag zum Arzt gehen würde und dass sie einen Ersatzcoach besorgen sollte. Als ich im Bett lag, meditierte ich. Ich wollte herausfinden, warum es mir schlecht ging. Um 2300 Uhr kam die Erkenntnis wie ein Sonnenstrahl nach heftigem Regen.

Meine Erkenntnis war: Ich sollte aufhören, ein perfekter Jobvermittler sein zu wollen. Die jahrzehntelange Erfahrung meines Kollegen werde ich sowieso kaum erreichen. Jobcoaches gibt es viele, doch das, was ich den Menschen zu geben vermag, können nur sehr wenige. Ich traf die Entscheidung, die Arbeit anders zu strukturieren. Ich wollte die Gruppen in den ersten Wochen coachen und in der Zeit das Selbstbild und die guten Eigenschaften der Teilnehmer erarbeiten. Mein Kollege sollte die Gruppen in der zweiten Hälfte betreuen und sie in die passenden Jobs vermitteln. Plötzlich merkte ich, dass die Enge in meinem Hals fast verschwunden war. Die Erkenntnis, dass ich meinen Berufsalltag so strukturieren musste, dass ich meine Stärken mehr leben kann, führte zu einer spontanen Verbesserung meines Gesundheitszustandes. Um 0100 Uhr nachts meldete ich mich bei meiner Vorgesetzten wieder arbeitsfähig. Ich freute mich auf den nächsten Tag und ich schrieb Daniel meine Pläne.

Daniel war sofort begeistert. Unsere Zusammenarbeit verlief dann auch sehr gut. Jeder von uns beiden konnte sich auf seine Stärken konzentrieren. So schafften wir mehr als wenn wir beide alles machten. Ich brauchte mich nicht um die Vermittlung der Teilnehmer zu kümmern und Daniel brauchte sich nicht um Vermittlungshemmnisse, Bewerbungsunterlagen und Motivation der Teilnehmer zu kümmern. Eine Win-Win-Win-Win-Situation. Wir beiden Coaches gewannen, die Teilnehmer gewannen, der Bildungsträger gewann und die Arbeitsagentur gewann ebenfalls.

Ein paar Wochen später verließ Daniel das Unternehmen, um sich selbstständig zu machen. Ich war plötzlich allein mit allen Teilnehmern und war für alles zuständig. Das hatte mir anfangs gar nicht gefallen. Und den Teilnehmern auch nicht. Daniel hatte ihnen zugesagt, für sie gute Jobs zu finden und nun war er nicht mehr da. Und ich musste nun auch die Vermittlungsarbeit übernehmen, in der ich so wenig Erfahrung hatte und die mir weniger gut liegt als das Lifecoaching. Doch während ich mit der Situation haderte, fiel mir auf, dass ich die Situation als schlecht bewertete, anstatt den guten Sinn darin zu suchen. 

Und tatsächlich: Über’s Wochenende dachte ich nach und ich erkannte den guten Sinn. Am Montag kam ich freudig und sehr entspannt zur Arbeit. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, ein besserer Vermittler zu werden. Es gab ja nichts, was mich daran hinderte, es einfach zu tun. Ich fing an, klassische Vermittlungsarbeit zu machen. Ich rief Arbeitgeber an, fragte nach offenen Stellen, erzählte von den Stärken meiner durchweg wunderbaren Teilnehmer und schaffte es tatsächlich, erfolgreich zu vermitteln. Gleichzeitig ermunterte ich die Teilnehmer, genauso zu verfahren und sich zu entwickeln. Aufgrund Daniels Qualitäten und seiner Vermittlungszusage waren die Teilnehmer passiv geworden nach dem Motto: Tolles Seminar, ich brauche nichts zu tun und bekomme einen Job. Nach wenigen Tagen kamen die Teilnehmer tatsächlich ins Handeln. Ein junger Mann, ein Verkäufer, der eigentlich ein offener, freundlicher und humorvoller Mensch war, hatte es besonders schwer, seine Komfortzone zu verlassen. Bei allen Vorschlägen hatte er irgendwelche Bedenken, so dass er nicht ins Handeln kam. Am Freitag schickte ich ihn in Begleitung eines anderen Teilnehmers ins Einkaufszentrum. Er solle einfach in die Läden hineingehen und sich mündlich bewerben. Am Nachmittag schrieb er mir, er wäre statt in fünf sogar in sieben Läden gewesen. Es sei sehr gut gelaufen. Zweien sollte er seine Bewerbungsunterlagen zusenden. Er bekam durch diese Aktion zwar am Ende keinen Job, aber er erfuhr, dass er keine Bedenken haben muss, seine Komfortzone zu verlassen. Er lernte, dass er lediglich seinem Selbstbild als einem offenen und freundlichen Menschen treu zu sein brauchte. Dann würde sich das Gute zeigen. Mittlerweile hat er einen schönen Job als Verkäufer. Aber selbst wenn er irgendwann wieder auf Stellensuche sein sollte, er weiß, wer er ist und wie er sein muss, um glücklich zu sein.

Das waren Erlebnisse aus jüngster beruflicher Erfahrung, die zeigen, dass in allem Schlechten auch etwas Gutes enthalten ist und dass es sich lohnt, das Gute zu suchen und ins Handeln zu kommen.

Der Tod meines Vaters
Im Dezember 2019 starb mein Vater, eine Woche vor der Goldenen Hochzeit meiner Eltern. Wenn ich Menschen davon erzähle, antworten sie in der Regel mit Betroffenheit und Mitgefühl. Natürlich war ich in Trauer. Ich habe meinen Vater geliebt. Er hinterließ eine schmerzhafte Lücke. Aber am Abend wurde mir immer mehr bewusst, wie gut das Lebensende meines Vaters doch gewesen war. Am Abend schrieb ich dann meine Erkenntnisse in einem Nachruf auf, den ich hier veröffentlicht habe. Ich möchte hier meine Erkenntnisse deshalb nur verkürzt schildern:

Mein Vater war 84. Aber seit über zehn Jahren war mein Vater pflegebedürftig gewesen. Im Laufe der Jahre konnte er zunehmend weniger tun. Selbst seine geschätzte Fingerfertigkeit hatte er verloren. Er konnte sich aufgrund seiner steifen und schmerzenden Füße und anderer Krankheiten und seines Übergewichts kaum richtig bewegen. Gehen ging nur noch überaus langsam. Und meine Mutter hat ihn diese zehn Jahre lang aufopfernd zuhause gepflegt. Zum Schluss konnte sie aber nicht mehr. Sie war zunehmend überfordert, war oft ein einziges Nervenbündel. Aber mein Vater wollte mit Gewalt nicht in ein Pflegeheim. Das Haus hatte er eigenhändig gebaut, das konnte er nicht verlassen. Er hatte natürlich recht. In einer fremden Umgebung wäre er nur schwer zurecht gekommen. Dann hätte er sehr schnell abgebaut. Zu diesem Opfer war er nicht bereit. Aber meine Mutter war kurz vor dem Zerbrechen. Diese schier ausweglose Lage führte zu Dauerkonflikten zwischen meinen Eltern. Sechs Wochen vorher aber sagte mir meine Mutter, dass sie ihre Rolle akzeptiert habe. Sie habe erkannt, dass es ihre Aufgabe wäre, meinen Vater zu pflegen bis zuletzt. Es hatte sich dann zwischen ihnen etwas verändert. Und das ging von meiner Mutter aus. Ich kann es nur schlecht beschreiben, aber es hat etwas mit liebevoller Hingabe zu tun. Seitdem war ihre Beziehung überaus friedlich und sehr harmonisch. Die Pflege meines Vaters war aber nach wie vor eine schwere und anstrengende Aufgabe.

In seiner letzten Lebenswoche war mein Vater sehr müde. Selbst wenn ihn der Masseur massierte, schlief er ein. Auch aß er wenig. Und er sprach vom Tod. Erst im Nachhinein war das meiner Mutter bewusst geworden. Jetzt weiß sie, dass sich mein Vater angeschickt hatte, diese Welt zu verlassen. Es war die rechte Zeit dafür. Es liegt auch klar vor mir, warum es ausgerechnet zu dem Zeitpunkt geschehen ist. Zunächst deshalb, weil sein Ego durch die wärmende Liebe meiner Mutter nahezu durchsichtig geworden und deshalb nur noch das Gute in ihm zu sehen war. Seine Seele war bereit, Vieles loszulassen. Die Liebe zu meiner Mutter hatte gesiegt.

Der andere Grund war, dass sie in wenigen Tagen den Segen zur goldenen Hochzeit erhalten sollten. Gott hätte ihnen doch nicht erst seinen Segen geben können, nur um dann wenig später meinen Vater zu sich zu rufen. Das hätte doch keinen Sinn ergeben. Es wäre auch nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es zuhause beim besten Willen nicht mehr weiter geht. Mein Vater hatte sich entschieden. Er hatte den Wunsch, bis zuletzt zuhause sein zu können.

Ihr kirchlicher Seelsorger hatte sich bereits für kommenden Dienstag zum Besuch angemeldet. Das ist so üblich vor einer Segenshandlung und meine Eltern hatten sich schon darauf gefreut gehabt. Der Besuch fand trotz allem statt. Nur der Zweck hatte sich geändert. Statt ein Besuch zur Vorbereitung der goldenen Hochzeit wurde es ein Kondolenzbesuch. Selbst die Gäste und das Restaurant, in dem die Goldene Hochzeit gefeiert werden sollte, brauchten keine neue Terminplanung. Stattdessen wurde es eine Trauerfeier.

Mein Vater ist ohne Schmerzen gestorben. Er war einfach schwach und müde und schlief ein. Im Beisein von Menschen, die ihn lieben. Zuhause und nicht in einer fremden Umgebung. Kann es eine schönere Art geben, von dieser Erde zu gehen?

Meine Mutter hat das Haus verkauft ist in die Stadt gezogen, in eine kleine, feine und seniorengerechte Wohnung, von der aus sie alles zu Fuß erreichen kann. Sie wird aufblühen und eine neue, glückliche Lebensphase erleben. Und mein Vater wird von oben freudig zusehen und sagen: Liebe Karin, das hast Du Dir verdient. Ich danke Dir für alles, was Du für mich getan hast. Für all die wundervollen Jahre zuhause mit unseren beiden Söhnen. Und besonders auch für die letzten Jahre, in denen Du mich so aufopfernd gepflegt hast. Bis zuletzt. Dankeschön, geliebte Karin.

Wie kann ich da traurig sein? Nein, ich lobe Gott und danke ihm, dass er alles so wunderbar und liebevoll gefügt hat. Und ich freue mich, dass er mir die Gnade schenkt, dies alles erkennen zu können. So liegt selbst im Tod Gutes verborgen. Der Tod gehört zum Leben dazu. Unser Leben wird nicht wertvoller oder gar glücklicher, wenn wir das Thema Tod automatisch von uns schieben. Wir mögen den Tod nicht oder haben sogar Angst davor. Deshalb wird er, wann immer möglich, ausgeblendet. Wenn es um den Tod naher Angehöriger geht, kann diese Haltung sogar sehr egoistisch sein. Egal welch guter Sinn in einem Tod verborgen sein könnte, wir versuchen ihn immer hinauszuzögern, nur weil wir ihn selbst nicht ertragen können. Wir dürfen aber diesen Schmerz der Trennung fühlen. Wir dürfen trauern. Und wir sollten den Tod akzeptieren. Nehmen wir ihn an, wenn er in unser Leben tritt.

Schlussbemerkung
Wir können unser Glücklichsein beeinflussen, indem wir bei allem, was geschieht, auf den guten Sinn schauen, der darin verborgen ist. Damit ist eine positive Einstellung zum Leben verbunden. In dieser Einstellung zu leben bedeutet, dass man das Gute zu sich zieht. Möge dieser Text alle inspirieren, die ihn lesen, so dass das Leben wahrhaft glücklich ist, unabhängig von der Lebenssituation.

Elbe, im März 2021